Ein Waldspaziergang ist ein köstliches Fest der Sinne. Beim Betreten der grünen Kathedrale werde ich von frischer, nach Harzen, Laub und Rinde duftender Luft empfangen, die ich tief in mich aufnehme. Gedämpftes Licht beruhigt das überreizte Auge und mein gesamtes Nervensystem beginnt sich allmählich zu entspannen. Schon nach ein paar Schritten über knackende Zweige und weiches Moos, vorbei an Farnen und üppigen Kleekissen, verspüre ich deutlich eine wohltuende Gewissheit: An diesem Ort hier ist es gut, ich bin willkommen! Während mein Atem immer regelmäßiger wird, lasse ich den Alltag gedanklich mehr und mehr los. Und indem ich mich ganz auf das faszinierende Sinnesabenteuer einlasse, das sich mir hier im Wald bietet, stelle ich irgendwann fest, wie sich eine ganz simple, pure Freude an der lebendigen Schönheit in mir breitgemacht hat. Spätestens jetzt ist klar, ein Teil von mir ist hier zu Hause und dieser Teil blüht nun auf.

Gesunde Pflanzenchemie

Kaum etwas anderes wirkt auf Körper, Geist und Seele des Menschen so harmonisierend und gleichzeitig beglückend wie der häufige und lange Aufenthalt in Waldgebieten. Zahlreiche Studien belegen heute, was Naturvölker und Alternativmedizin schon seit langem wissen, nämlich dass das intensive Erleben der Natur und im Speziellen der Waldatmosphäre unsere Gesundheit nachhaltig positiv beeinflusst. Das liegt nicht nur am hohen Sauerstoffgehalt der Waldluft und den beruhigenden visuellen Reizen, die von einer Waldlandschaft ausgehen. Mittlerweile weiß man, dass es von den Pflanzen abgegebene, chemische Stoffe sind (sog. Terpene), die unser Immunsystem derartig stärken, dass selbst Krankheiten wie Krebs gelindert und geheilt werden können oder gar nicht erst entstehen.

Biophilia – aus Liebe zum Lebendigen

Eines der neueren Bücher, die sich mit dieser Thematik befassen, ist „Der Biophilia-Effekt“ des österreichischen Biologen und Buchautors Clemens G. Arvay. Er hat mit diesem Werk ein wissenschaftlich fundiertes und gut verständliches Plädoyer für den intensiven Kontakt zur Natur geschrieben. Die Kenntnis der geschilderten Zusammenhänge ist meines Erachtens von so essentieller Bedeutung für den Menschen der heutigen Zeit, dass sie in den Lehrplan aller Schulen aufgenommen und von allen Ärzten grundsätzlich als Pflichtlektüre verschrieben werden sollten, und zwar noch lange vor – oder besser anstatt – Antidepressiva,  Schmerzmitteln, Ritalin & Co.

Man stelle sich vor: Frisch operierte Patienten, die aus ihrem Zimmer einen Ausblick auf Bäume haben, benötigen erwiesenermaßen weniger Schmerzmittel und dies auch nur über einen kürzeren Zeitraum als solche in Zimmern mit Ausblick auf Häuserwände. Selbst die Anwesenheit von Zimmerpflanzen oder das Betrachten von Naturaufnahmen in Form von Bildern oder Filmen haben eine ähnliche Wirkung. Führt man sich dies vor Augen, wird schnell sonnenklar, wie vitalisierend der Kontakt zur Natur und um wieviel höher ihre Heilkraft ist, wenn sie physisch, idealerweise in Form von Waldspaziergängen, genossen wird. 

Seelentrost und Katalysator

Für mich selbst ist das Auftanken in Natur und Wald im Laufe der Jahre zu einer meiner wichtigsten Kraftquellen geworden. Gerade in Zeiten von Überlastung und Stress, aber auch beim Erleben von innerer Unsicherheit, Krisen und depressiven Verstimmungen haben lange Spaziergänge unter Bäumen mir immer wieder neue Zuversicht geschenkt. Es war ein wenig wie Zauberei, zu Beginn der Spaziergänge drehten sich noch allerlei düstere Gedanken in meinem Kopf, die sich aber mit jedem Schritt mehr und mehr auflösten. Wenn ich nach solchen Ausflügen an der frischen Luft wieder nach Hause kam, war mein Vertrauen ins Leben und in mich selbst wieder hergestellt. Es war wie eine innere Stimme, die mir sagte: Bisher hat sich immer alles positiv entwickelt und so wird es auch diesmal sein – hab Geduld! Heute bin ich davon überzeugt, dass dies der Effekt der körperlichen Bewegung in Verbindung mit den von den Pflanzen abgegebenen, heilenden Stoffen ist, deren Wirkung mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen ist.

Nicht erschrecken: Begibt man sich offenen Herzens in die Natur, kann es zu plötzlichen emotionalen Entladungen kommen. Scheinbar grundlos fließen (lange unterdrückte) Tränen ab, wodurch sich die Seele von angestautem Ballast befreit. Dies scheint besonders häufig feinfühligen Menschen so zu gehen und solchen, die dazu neigen, ihre Emotionen zu kontrollieren und Gefühle in sich hineinzufressen, anstatt ihnen Ausdruck zu verleihen. Auch alte seelische Wunden können sich auf diese Weise nochmals bemerkbar machen, aufreißen und sich ausreinigen. Die katalytische Heilwirkung der Natur ist atemberaubend!

Elementare Impulse

Meine persönliche Faszination für die Natur spiegelt sich stark in meiner kreativen Arbeit als WortMalerin und Autorin. So bevölkern seit jeher die vier Elemente und Naturphänomene aller Art als Metaphern oder Allegorien die Texte meiner Bücher und CDs. Besonders ausgeprägt ist meine Verbindung zum Element Wasser, und so tritt das Meer in meinen Geschichten gerne mit unterschiedlicher Symbolik in Erscheinung. Aber auch Bäume, Steine, Trolle, Windgeister und andere zauberhafte Naturwesen geben sich hier ein Stelldichein, was zum Ziel haben soll, das Gemüt des Menschen zu entschleunigen, ihn an die Schönheit der Natur zu erinnern und ihre Spiegelungen in der eigenen, menschlichen Seele entdecken zu lassen. Denn wir sind und waren immer ein Teil der Natur, auch wenn es so aussieht, als setze der moderne Mensch heute alles daran, dies zu boykottieren und zu vergessen.

Langsamkeit und Verweilen

Neben der rein körperlichen, sportlichen Betätigung an sauerstoffreicher Waldluft möchte ich gerne den Stellenwert des langsamen Verweilens und das intensive sinnliche Erleben des Waldes hervorheben. Wenn man sich über ein paar Stunden hinweg an unterschiedlichen Plätzen im Wald aufhält und das Leben dort aufmerksam beobachtet, beginnt sich eine besonders angenehme Wirkung auf die Psyche zu zeigen: Entspannung durch Faszination, ein Effekt, den auch Clemens G. Arvay in seinem Buch „Der Biophilia-Effekt“ sehr treffend beschreibt. Wir finden auf diese Weise heraus aus unserem ichbezogenen Denken und dem Gedankenrad, das uns häufig auch noch dann gefangenhält, wenn wir uns zwar in der Natur bewegen, aber nicht in näheren Kontakt mit ihr treten. Dieser ergibt sich über das aufmerksame Beobachten, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken.

Meditatives Erleben

Manchmal lasse ich mich im Wald auf einem Baumstumpf oder einem weichen Moospolster nieder, um das kleine Leben zu beobachten, die Waldinsekten und Kriechtiere. Schaue zu, wie die Spinnen ihre Netze weben, deren Fäden ich beim Umherstreifen als ein zartes Kitzeln auf der Haut fühle. Gibt es dort kleine Rinnsale oder Bächlein, dann kann ich mich an ihnen niederlassen und sehen, wie sich die Baumkronen im klaren Wasser spiegeln und das feuchte Moos an den Steinen emporwächst. Rieche die kühle, erdige Frische, die aus diesem Wasser emporsteigt. Koste davon und schmecke den Unterschied zum Leitungswasser zu Hause. Zuweilen genieße ich die vitalisierende Wirkung eines Bades in einem frischen Naturgewässer. Bachläufe laden mich dazu ein, an ihrem Ufer mit Steinen zu spielen. Vielleicht pflücke ich mir ein paar köstliche Waldbeeren und bin überrascht, um wie viel intensiver sie schmecken als ihre Verwandten in den Geschäften oder selbst in unseren Gärten. Ich schließe die Augen und lausche dem Waldkonzert, dem Vogelzwitschern und dem Blätterrascheln in den Baum-kronen über mir. Spüre die sanften Windböen auf meiner Haut, die mich umfangen wie eine zärtliche Begrüßung.

All diese Eindrücke helfen, unseren Geist von unnötigem Gedankenballast zu befreien und unseren Adrenalinspiegel zu senken. Der Phantasie sind beim sinnlichen Erleben des Waldes kaum Grenzen gesetzt. Haben wir uns einmal ganz auf seinen eigentümlichen Zauber eingelassen, entdecken wir immer mehr faszinierende Facetten der Waldlandschaft. Auch schmackhafte Pilze zählen zu den Geschenken des Waldes. Uns bei der Suche auf ihren Anblick zu fokussieren hat bisweilen eine meditative Wirkung, da wir dabei den Kopf so wunderbar frei bekommen. Meditation ist übrigens keine komplizierte oder abgehobene Entspannungstechnik. Es kann bedeuten, einfach nur ganz da zu sein und seinen Körper zu spüren. Ruhig auf einem Stein zu sitzen, das Waldleben zu beobachten und zu lauschen ist perfekt, um in seine Mitte zu kommen.

Raus aus den vier Wänden, rein ins Grüne Glück

Wer kennt das nicht: Geht es uns emotional nicht gut, verkriechen wir uns in den vier Wänden. Oft lenken wir uns dann mit Ersatzbefriedigungen ab, die unser Unbehagen stillen sollen, das Problem aber nicht lösen, sondern nur temporär verdrängen. Wir arbeiten zu viel, essen ungesund, konsumieren Internet, Fernsehen oder Drogen in einem Maß, das uns nicht gut tut. Wir wissen natürlich, dass die Dinge sich dadurch nicht bessern, aber wir tun es trotzdem und schieben es auf den inneren Schweinehund. Dabei wäre es manchmal gar nicht so schwer, sich einen Ruck zu geben und einfach hinauszugehen ins Grüne.

Generell halten wir uns meist zu viel in geschlossenen Räumen auf und verlieren so an Lebenskraft und Lebendigkeit. In gewisser Weise haben wir diese Lebendigkeit, die immer auch mit einer gewissen Lebensspannung einhergeht, gegen die Sicherheit und den Komfort unseres zivilisierten Lebens eingetauscht. Ein uralter Teil in uns leidet jedoch unter der verlorengegangenen Wildheit und sehnt sich nach der Wiederverbindung mit dem Ursprünglichen, dem, was ich das „Grüne Glück“ nenne. Auf wundersame, sanfte Weise verwurzelt uns die Natur wieder im Leben sowie in uns selbst und bringt uns in Verbindung mit den tiefsten und ältesten Schichten unseres Wesens.

Waldbad für Vielfühler

Insbesondere für sehr empfindsame oder hochsensibel veranlagte Menschen ist der innige Kontakt zur Natur ein wunderbares Medium zur Erhaltung und Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts. Diese Bevölkerungsgruppe (Experten schätzen den Anteil auf 15-20%) erlebt sichtbare und unsichtbare äußere Reize wie Lärm, Straßenverkehr, Elektrosmog, visuelle Überlastung, aber auch Menschenmassen und Großveranstaltungen noch viel intensiver als andere und ist daher in hohem Maße stressanfällig. Für Hochsensible bietet der Wald optimalste Bedingungen zur Beruhigung des überreizten Nervensystems und der Psyche. Aus eigener Erfahrung möchte ich sogar die Vermutung wagen, dass der regelmäßige Rückzug ins Grüne zum sogenannten Waldbaden essentiell für den Erhalt der geistigen Gesundheit und inneren Balance eines „Vielfühlers“ ist.

Darüberhinaus sind Erinnerungen an positive Naturerlebnisse ein probates Mittel zur akuten Stressbewältigung. Das bedeutet, raus ins Grüne gehen, um schöne Bilder und Empfindungen zu tanken!
In Krisenzeiten können wir diese gespeicherten Impressionen dann bewusst abrufen und zur Harmonisierung nutzen, beispielsweise im Rahmen einer Entspannungsübung oder Meditation.

Es gibt also viele gute Gründe, öfter mal eine Auszeit einzulegen, in den Wald zu gehen und sich ein Stück vom Grünen Glück zu holen. Kommt es doch nicht von ungefähr, dass man in der Natur kaum griesgrämigen Menschen begegnet, anders als in Großstädten. Im Wald öffnen sich die Menschen automatisch für die auf sie einströmenden, angenehmen Reize. Sie sind aber auch anderen Spaziergängern oder Wanderern gegenüber weniger misstrauisch. Übrigens, es ist viel einfacher, einen Fremden im Wald anzulächeln als in der Stadt, schon bemerkt? Falls nicht, einfach bei nächster Gelegenheit ausprobieren.

Ich wünsche allen eine gute und erholsame Zeit im Wald!

Literaturhinweis: „Der Biophilia-Effekt“ von Clemens G. Arvay

Waldimpressionen: www.pixabay.com

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Über die Autorin

Andrea E. Maier, WortMalerin mit Fokus auf Burnout- und Stressprävention, blickt gerne hinter die Kulissen des Vordergründigen auf der Suche nach dem Wesentlichen. Mit ihren ausdrucksstarken und von der Natur inspirierten Texten lädt die 1973 in Wien geborene Wortkünstlerin ihre Leser ein, die Grenzen ihrer Vorstellungskraft auszuloten und das Leben einmal auch aus einer anderen Perspektive zu betrachten als der gewohnten.

Autoren-Website: wortmalereien.com

Special: „Waldgedanken“ – Unser Videoclip zum Thema:

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