Landschaftliche Metapher auf die inneren Welten

Müde setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich habe eine weite Reise hinter mir, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wo sie eigentlich begonnen hat. Unzählige Täler habe ich durchwandert, geheimnisvolle Tore passiert und an so mancher Quelle meinen brennenden Durst gestillt. Bergauf, bergab führte mein Weg, der gesäumt war von Wäldern, Wiesen und Gewässern, die mir fremd und vertraut zugleich erschienen. Oft wäre ich gern geblieben, um ein wenig auszuruhen oder gar Wurzeln zu schlagen, aber ich konnte einfach nicht. Unaufhörlich zog es mich weiter, drängte es mich fort von jedem Ort, an dem ich mich länger aufhielt als einen Tag. Mich, den stillen Wanderer zwischen den Welten, Träumer und Wachender zugleich, unterwegs, das Geheimnis von Ursprung und Ziel zu ergründen.

Denn ich bin auf der Suche, ich reise und erforsche, um niemals anzuhalten, niemals zu verweilen. Bewegung ist mein zweiter Name und ich werde weder rasten noch ruhen, bis ich das gefunden habe, von dessen Existenz ich noch nichts weiß. Du glaubst, ich suche den lockenden Reiz der Fremde, flirrendes Abenteuer und die Ausdehnung in ferne Ebenen? Weit gefehlt. Am allermeisten fasziniert mich die verschlungene, unergründliche Landschaft meiner eigenen Seele.

In ihr will ich immerfort wandeln, um die dunklen Rätsel zu entschlüsseln, die das Leben mir in den ungezähmten Geist gepflanzt hat. Ich möchte die Elemente in all ihren Varianten erkunden, den wilden Frühlingssturm ebenso wie die sanfte Meeresbrise, denn sie erinnern mich an das Aufwallen meiner eigenen Leidenschaften. Möchte die zärtliche Berührung des Regens spüren und zugleich die berstende Spannung eines zu Eis erstarrten Sees, dessen Kälte ich manchmal als trostlose Einsamkeit erlebe. Tief in die schwarze Erde möchte ich mich bohren wie der Wurm, um mich vom lieblichen Kuss der Frühlingssonne – meiner Lebensfreude – hervorlocken zu lassen als Blume, nach langer, dunkler Nacht wiedergeboren ans Licht.

Ich lasse mich vom Wind schaukeln wie ein Schmetterling, der verträumt wie mein kindliches Gemüt von Blüte zu Blüte flattert, bis sein Blick auf etwas am Horizont fällt, das majestätische Blau der Berge. Siehst du, wie erhaben sie dort oben thronen und weißt du schon, wofür sie stehen? Magisch angezogen von jahrtausendealter, in Fels gebannter Kraft folge ich ihrer stummen Einladung ins Innerste der Erde. Denn unter einem Baldachin aus grünem, flüsterndem Laub führt ein golden strahlender Weg hinein, tief hinein in die Mitte aller Dinge: in mein Herz, Zentrum all meiner Stärke und der Ort, an dem ich schon unzählige Male gestorben bin und wiedergeboren wurde.

Dort endlich finde ich all das, von dessen Existenz ich noch nichts wusste, und hier erschließt sich mir das Geheimnis von Ursprung und Ziel. Alpha und Omega, Oben und Unten, Gestern, Heute und Morgen. Alles ruht zu jeder Zeit still und widerspruchslos in mir selbst, bis ich den Weg zurück in die Mitte gefunden habe, um mich daran zu erinnern.

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Titelbild: pixabay.com

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