Wann weißt du, dass du einen anderen Menschen liebst?
Dass du diesen Menschen wirklich siehst
und ihn liebst, ganz so wie er ist,
und nicht eine Vorstellung, die du von ihm hast
und von dem, wie dein Leben aussehen soll,
mit ihm darin?

Wann weißt du, dass du einen Menschen klar siehst,
ohne von einer Idee abgelenkt zu sein wie von einem Filter,
der sich über deine Brille gelegt hat
und mit dem du diesem Menschen
etwas andichtest, das gar nicht zu ihm gehört?
Oder ihm etwas wegdichtest, das untrennbar sein eigen ist?

Woher weißt du, dass das warme, flackernde,
dich hinziehende Gefühl in deinem Inneren
tatsächlich dem anderen Menschen gilt,
diesem lieben Menschen, so wie er nun mal ist,
ohne Podest, ganz flach am Boden stehend,
ohne Flitter, Schnörkel und Fanfaren um ihn herum?

Kannst du sicher sein, wirklich ganz sicher,
dass du tatsächlich diesen Menschen meintest
und nicht das Bild, das du dir von dir selbst gemacht hast,
so ganz, so emporgehoben, so anders
mit ihm an deiner Seite?

Und was, wenn du dich dabei ertappst,
dass es vielleicht doch eine Idee, eine Vorstellung war,
die dich so begeistert hatte damals,
als du so sehr auf der Suche warst und gewartet hast,
und dass du doch der Versuchung erlegen bist,
diesen Menschen in den Rahmen deiner Vorstellung einzupassen,
ja ihn vielleicht sogar noch ein bisschen fester dort hineinzudrücken,
so wie Plätzchenteig in seine Form?

Und jetzt, wo du erkennst, dass es nicht der andere,
der liebe Mensch war, den du meintest,
dass du ihm Unrecht getan hast damals,
als du ihn deiner Liebe unterworfen hast,
was fühlst du da?

Kannst du es sein lassen, ganz friedlich und still,
es einfach sein lassen und stehen lassen,
was du da eigentlich gewollt hast damals, und es dir ansehen?
Das, was gar nicht dem anderen Menschen gegolten hatte,
sondern dir selbst?

Kannst du auch ihn nun ansehen, diesen Menschen,
so wie er jetzt in seiner Nacktheit vor dir steht,
in seiner Normalität, und ihm das zurückgeben,
was deine Vorstellung ihm weggenommen,
und ihm von jenem entlasten, was sie ihm auferlegt hatte,
nicht aus Boshaftigkeit,
sondern weil du es einfach nicht besser wusstest?

Kannst du dir selbst nachsehen, was du getan hast?
Und kannst du ihn nun betrachten, diesen Menschen,
ihn lassen und ihm dennoch gut sein?

Wenn du es kannst, dann weißt du, dass es doch Liebe ist.
Liebe, verborgen unter all diesen Ideen und Vorstellungen,
die jetzt abfallen wie das letzte welke Laub vom vorigen Jahr
und die Wahrheit freigeben, so wie sie sein möchte.

Dann weißt du, dass du wirklich liebst.

wortmalereien.com
Titelbild: pixabay.com

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