aus dem Musikprojekt „Das Land Antaania“

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Die Legende von Antaania

Kennt ihr die Legende von Antaania, dem Land der tausend Farben und Klänge?

Es existierte in längst vergangener Zeit, und das Leben dort war so schön und friedvoll, dass man sich auf der ganzen weiten Welt Geschichten über seine Pracht und die Großherzigkeit seiner freundlichen Bewohner erzählte.

Die Antaanier liebten und achteten die Schöpfung wie kein anderes Volk. Sie nahmen sich vom Reichtum der um sie gedeihenden Natur niemals mehr als sie zum Leben brauchten. Auch teilten sie miteinander alles, was die Fülle der Natur ihnen zu bieten hatte. Neid und Habgier waren den Menschen in Antaania fremd, denn ihre tiefe Verbundenheit mit allem Leben der Erde ließ sie stets auf das Wohl eines jeden Einzelnen in der Gemeinschaft bedacht sein – ja sogar auf das Wohl eines jeden einzelnen Lebewesens im großen Schöpfungskreis der Natur.

Die Lebensfreude der Antaanier war grenzenlos, und nie taten sie eine Arbeit, ohne ein Lied auf den Lippen zu haben. Sie feierten gemeinsam die Feste des Jahreskreises, in denen sie ihrer Dankbarkeit für die Geschenke der Schöpfung mit ihren Liedern Ausdruck verliehen. Die tiefempfundene Freude in den Herzen der Menschen Antaanias spiegelte sich wieder in einer üppig gedeihenden und farbenprächtigen Vegetation, deren Herrlichkeit ihresgleichen suchte. Die Gesänge und das fröhliche Lachen der Menschen klangen weithin über Felder, Wald und Flur.

Die Früchte der Erde Antaanias waren groß und makellos, und die Blüten der Blumen und Bäume von überirdischer Schönheit und berauschendem Duft. Es war das Paradies.

apple-tree-360083_1280Inmitten von Antaania befand sich der Alte Wald, und wiederum in dessen Mitte wuchs der uralte, mächtige Lebensbaum. Von seinen köstlichen Früchten aßen die Antaanier, denn sie verliehen ihnen immerwährende Gesundheit und Kraft.

Angelockt von der fröhlichen Lebensart der Antaanier, ließen sich jedes Jahr im Frühling die wunderschönen, bunten Regenbogenvögel in den Zweigen des Lebensbaumes nieder, um dort zu nisten und ihre Jungen auszubrüten. Mit ihrem Gesang brachten sie seine bunten Blüten und von hier aus die ganze Natur ringsum zum Erblühen und Gedeihen.

Es war ein reiches und gutes Leben in Antaania. Weil die Menschen sich als ein Teil der Schöpfung empfanden, vereint in einem einzigen großen Ganzen, kannten sie keine Vermessenheit. Sie sahen das Göttliche in jedem Lebewesen auf Erden. Die Liebe der Antaanier zu allem Leben war so tief und rein wie die Liebe eines Kindes, das in den anderen seine Brüder und Schwestern erkennt und sich aus diesem Grund niemals über sie stellt, um sie zu unterdrücken oder auszubeuten. Ihr Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Natur und ihre Wertschätzung brachten großen Segen über das Land und seine Menschen.

So war es über lange Zeiten hinweg, und niemand hätte sich jemals träumen lassen, dass es einmal anders sein könnte. Doch irgendwann – keiner weiß mehr genau, warum – veränderte sich etwas.

Die Antaanier begannen, ihre innere Verbundenheit zu einander und zur göttlichen Schöpfung zu verlieren. Mehr und mehr achteten sie nur auf sich selbst und ihr eigenes Wohl – ihren eigenen Vorteil, anstatt auf das Wohl der Gemeinschaft und den Einklang mit der Natur. Sie zogen sich vor einander zurück und schauten immer argwöhnischer auf das, was die anderen hatten. Es begann ein Messen und Vergleichen unter den Antaaniern Einzug zu halten, das es bislang nicht gegeben hatte.

cereals-228726_1280Bald schon wurden die Früchte der Natur nicht mehr geteilt, sondern jeder begann für sich selbst so viel zu horten wie er nur bekommen konnte. Die Antaanier fingen an, sich als Herren der Schöpfung zu betrachten und sich rücksichtslos zu nehmen was sie wollten. Wo früher noch ein achtsames und dankbares Empfangen und Teilen gewesen war, zeigten sich immer mehr die Zeichen von Raffgier, Neid und Achtlosigkeit. Die Herzen der Antaanier begannen sich zu verhärten.

Auf scheinbar unerklärliche Weise wurde der Kreislauf der naturgegebenen Fülle unterbrochen. Plötzlich schien es von allem zu wenig zu geben, wo doch vorher noch Überfluss geherrscht hatte und immer für alle genug da gewesen war. Inmitten des Paradieses war der Mangel geboren.

Doch was war geschehen? Warum hatten die Antaanier ihre Verbundenheit zur göttlichen Schöpfung verloren? Und warum fühlten sie sich plötzlich allen anderen Lebewesen in der Natur übergeordnet? Sie sahen sich nun als „Krone der Schöpfung“ und vergaßen dabei, dass ein guter König das behütet und beschützt, was ihm anvertraut wurde.

Immer seltener hörte man in Antaania die fröhlichen Lieder durch die Hügel schallen. Anstatt gemeinsame Feste in der Natur zu feiern, zogen sich die Familien in ihre Häuser zurück. Das Leben wurde immer stiller und grauer – innerlich und äußerlich. Die unzähligen schillernden Farben von Antaanias Natur verblassten und schwanden.

Als die Antaanier begannen, einander den Reichtum der Schöpfung zu neiden und die Natur auszubeuten, verloren sie gleichzeitig ihre tiefe Wertschätzung für diese Gaben. Mehr noch, mit der Verhärtung ihrer Herzen setzte ein Vergessen dessen ein, was das Leben in Antaania einst so schön gemacht hatte: die Gemeinschaft der Menschen und der Ausdruck ihrer grenzenlosen Lebensfreude durch Musik, Gesang und all die anderen, von Gott geschenkten Künste.

Die Regenbogenvögel, einst angelockt durch die sprühende Lebensart und die Lieder der Antaanier, kamen immer seltener, um in den Zweigen des Lebensbaumes zu nisten. Doch ihr Gesang fehlte nun im Frühling, die Bäume erblühten kaum mehr und trugen immer weniger Früchte. Als die Regenbogenvögel nach einem kalten und langen Winter schließlich ganz ausblieben, waren alle Farben und Klänge aus dem einst so prächtigen Antaania ebenso gewichen wie die Freude seiner Bewohner.

Um ihre innere Armut zu übertünchen, häuften die Antaanier nun äußere, irdische Reichtümer an. Doch in ihnen fanden ihre leeren Herzen keinen Trost. Stattdessen legten sie die Grundsteine für Neid, Zorn und Krieg, deren gemeinsame Wurzel die Angst ist. Eine Angst, die der fehlenden Verbundenheit zur göttlichen Schöpfung entspringt und den Menschen das Wesentliche vergessen lässt – nämlich, dass alles Leben miteinander verbunden und EINS ist in Gott.

early-morning-299735_1280Die Mauern, die die Antaanier in ihren Herzen errichtet hatten, spalteten sie schließlich in zwei verfeindete Lager. Keiner weiß mehr, was letztlich der Anlass dafür war, doch es entstanden zwei Gruppen, die nunmehr, getrennt voneinander, an beiden Enden des Alten Waldes lebten. Dieser Wald, ein Bollwerk der Trennung, begann zu wuchern und immer dichter und dunkler zu werden. War er früher einmal ein freundlicher Ort der Stille gewesen, den die Kinder gern zum Spielen aufgesucht hatten, so mieden sie ihn nun und begannen, sich in ihm zu fürchten. Nach und nach verließen auch die Tiere den Wald, und das Dickicht wucherte. Irgendwann durchquerte ihn kein Mensch mehr, und die Bewohner der Lager auf beiden Seiten des Waldes vergaßen einander, während der Wald selbst verödete.

Und genauso wie dieser Wald verödet auch Gottes Schöpfung… wird kahl… trostlos… krank… und stirbt, wenn sich der Mensch nicht mehr als ihr Hüter versteht, sondern als ihr Beherrscher.

Zwei der Kinder Antaanias – eines auf jeder Seite des Waldes – gingen immer noch an den Waldrand, um unter den Zweigen der alten Bäume zu sitzen. Dort spielten sie mit ihren bunt funkelnden Murmeln und erinnerten sich dabei an Antaanias Farben von früher. Wie sehnten ihre Herzen sich nach der Freude, den Farben und Liedern von einst!

Manchmal hörten sie eine wundersam schöne, traurige Musik aus dem Waldinneren, die sie zu rufen schien. Keiner der Erwachsenen konnte diese Musik hören, denn sie erreichte nur das Herz der Kinder. Diese Klänge nun weckten die Erinnerungen der Kinder an die fröhlichen Lieder von früher, und sie wurden von einer großen Sehnsucht ergriffen. Etwas drängte sie herauszufinden, woher diese Musik kam…. Doch lange wagten sie sich nicht in den finsteren Alten Wald vor.

Eines Tages jedoch fassten sie sich ein Herz und folgten den Klängen ins Dunkle. Am Stamm des alten, fast kahlen Lebensbaumes schließlich begegneten sie einander und machten eine ganz besondere Entdeckung.

abstract-2100_1280Sie fanden einen letzten, einsamen Regenbogenvogel vor, der auf den Zweigen des Lebensbaumes saß. Er war es, dessen trauriger Gesang sie angelockt hatte. Der Vogel wirkte sehr kraftlos und ließ seine Flügel hängen. Doch als er die Kinder erblickte, richtete er sich noch einmal auf und begann mit schwacher Stimme und letzter Kraft, ihnen von Antaania zu erzählen, dem Land der tausend Farben und Klänge. Von längst vergangenen Zeiten, in denen es noch Freude und Farben in ihrer Welt gegeben hatte, Musik und Lieder! Hingerissen lauschten die Kinder den leisen Worten des Regenbogenvogels, und etwas in ihnen begann sich zu erinnern.

Es waren die Kinder, die schließlich erkannten, was zu tun war. Nachdenklich betrachteten sie den sterbenden Lebensbaum und wussten, was dies zu bedeuten hatte. Da nahmen sie einander an den Händen, erhoben ihre klaren Stimmen und begannen zu singen. Der Klang ihres Liedes zog ihnen voraus durch den Wald, während sie gemeinsam zu den Erwachsenen der beiden Lager gingen. Erstaunt blickten diese von ihren Arbeiten auf und waren wie verzaubert, denn sie konnten sich nicht erinnern, wann sie zuletzt Kinder so schön hatten singen hören. Sie ließen alles stehen und liegen und folgten ihnen durch den Wald. Nun wurden auch die Menschen auf der anderen Seite des Alten Waldes aufgesucht, und schließlich folgte die Erwachsenenschar beider Lager den singenden Kindern, bis sie den Lebensbaum erreichten, dessen blattlose Zweige traurig in den Himmel ragten.

Die Kinder verstummten. Gebannt betrachteten nun alle versammelten Antaanier den kahlen Lebensbaum, und niemand sagte ein Wort. Langsam… ganz langsam begannen sie zu begreifen, was geschehen war. Und sie begannen sich zu erinnern.

In diesem heiligen Moment fassten die Kinder die Erwachsenen an den Händen, und diese taten es ihnen gleich… Und da konnten sie mit einem Mal ihre Verbundenheit wieder spüren. Mehr noch – sie wussten plötzlich, dass sie in Wirklichkeit niemals voneinander getrennt gewesen waren!

Aus ihren Kehlen erhob sich nun ein Lied, so kostbar und schön, wie es in Antaania seit unendlichen Zeiten nicht mehr erklungen war. Es ließ die Herzen weit werden und brachte den Lebensbaum von neuem zum Erblühen. Vom Horizont näherte sich ein Schwarm der lang vermissten Regenbogenvögel, die sich jubilierend im blütenbedeckten Lebensbaum niederließen. Die gesamte Natur ringsum erwachte und feierte die Wiederkehr der Freude in Antaania.

Der Bann war gebrochen, weil die Kinder von Antaania in ihrer tiefen Suche nach Freude, Liebe und Sinn die Dinge hinter den Dingen erkannt und die Brücke zu den Herzen gefunden hatten.

Lasst uns alle gemeinsam Brücken bauen und Antaania in die Herzen der Welt tragen!

 

 

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aus dem Buch

Feuer, Erde, Wind & Meer

Literarische Impulse für Sinn & Seele

von Andrea Maier

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