Sommerwald - Kopie

Illustration: Ute Hegel

… Als sein Hunger gestillt war, suchte Mo sich ein geschütztes Plätzchen, eine Erdkuhle, die er sorgsam mit Zweigen und Moos auskleidete, um sich hineinzulegen. Nun wollte er ausruhen. Ausruhen, schlafen, vergessen. Nicht mehr da sein. Mo rollte sich ein und versank in einen tiefen Schlaf, wie ihn manche Tiere im Winter halten. Er zog sich so tief in sich selbst zurück, dass sogar sein Herzschlag sich verlangsamte. Er schlief und schlief, und indessen begann es zu schneien. Eine dicke, weiche Schneedecke legte sich über das Land, über die kleine Erdkuhle und Mo und hüllte alles in lautloses, weißes Vergessen.

Doch während Mo schlief, geschah etwas Wundersames. Die Feenperle um Mos Hals begann ganz sachte zu glühen. Mo schlief weiter, gewärmt von der Perle, und die Schneedecke rund um die Erdkuhle, in der er lag, begann langsam, aber sicher zu tauen. Während der Winter ins Land zog und alles zu Eis erstarrte, blieb dieses kleine Fleckchen Erde grün und saftig. Und schließlich begannen sogar die Frühlingsblumen aus der Erde zu spitzen und sich dem Himmel entgegenzurecken. Insekten tummelten sich auf diesem winzigen grünen Flecken und fanden Gefallen am wiedergekehrten Frühling. Alles nur dank der wärmenden Feenperle um Mos Hals. Und Mo schlief weiterhin gemütlich eingekuschelt und war sicher und geborgen.

Doch irgendwann, nach langer Zeit, wurde Mo geweckt. Was ihn aus dem Schlaf holte, war das fröhliche Lachen vieler heller Stimmen, das ihm irgendwie bekannt vorkam – aber er wusste nicht, woher. Während er wacher und wacher wurde, sich reckte und streckte, verlor sich das Glühen der Perle, und so wusste Mo nicht einmal, was geschehen war. Verschlafen und neugierig erhob er sich aus seinem Versteck und sah sie: die vielen kleinen durchscheinenden Wesen, die um ihn und die Frühlingsblumen auf seinem Flecken Grün tanzten. Es waren die Blumenwächter, die ihre helle Freude hatten an dem Stückchen Grünland inmitten der Winterlandschaft.

„Mo!“ riefen sie, „wach auf! Du hast lange genug geschlafen!“

Und sie nahmen Mo an den Händen und tanzten mit ihm lachend durch die Blumen, halb laufend, halb schwebend. Der kleine Troll freute sich mit ihnen und verlor sich gänzlich in ihrer kindlichen Verspieltheit und Fröhlichkeit. Sein Herz öffnete sich weit und wurde geheilt von aller Angst, allen Zweifeln und allem Schmerz. Er begann mit ihnen zu lachen und zu tanzen, und er lachte und lachte, bis ihm der Bauch wehtat. Es war so wunderschön, einfach nur zu leben und mit diesen wunderbaren Wesen fröhlich zu sein!

Irgendwann ließen sie sich ins Gras plumpsen, und dabei rutschte ein kleiner Gegenstand aus Mos Fell. Es war die Schuppe des Regenbogendrachen Adamantar. Mo hatte sie völlig vergessen! Nun hielt er inne, hob sie vorsichtig auf und betrachtete sie. Die Blumenwächter waren ebenfalls aufmerksam geworden und beguckten neugierig das Kleinod in Mos Händen. Sie staunten und raunten und waren völlig hingerissen.

„Eine Schuppe des Regenbogendrachen!“ riefen sie begeistert aus. „Mo, du besitzt einen wahrlich großen Schatz!“

Und sie betrachteten ihn und die Drachenschuppe ehrfürchtig. Mo war ein wenig verwundert.

„Ich weiß aber gar nicht so recht, was ich damit anfangen soll“, gestand er.

„Oh!“ riefen da die Blumenwächter, und einer von ihnen klärte Mo freundlich auf:

Blumenwächter 008 - Kopie

Illustration: Ute Hegel

„Du kannst dich damit an jeden Ort der Welt wünschen, wo immer er auch sei! Wirf sie nur vor dich ins Gras und sprich deinen Wunsch aus!“

Nun war es Mo, der staunend und ehrfürchtig auf die Drachenschuppe starrte. Im nächsten Moment sprang er auf, warf die Schuppe vor seine Füße und rief:

„Dann möchte ich jetzt sofort zu Oufaya, der Gebieterin der Winde!“

Ein paar Augenblicke vergingen, ohne dass etwas geschah, und Mo begann schon enttäuscht zu sein… Da plötzlich stieg etwas wie ein farbiger Nebel von der Drachenschuppe auf. Ganz wenig zuerst und ganz durchsichtig, dann mehr und mehr, und schließlich erhob sich eine gewaltige bunte Farbwolke in den Himmel und bildete einen mächtigen Regenbogen. Er reichte vom Boden bis weit hinauf in die Wolken, das Ende war nicht zu erkennen. Dieser Regenbogen war von so intensiver Farbe und Leuchtkraft, dass Mo sich an Adamantar erinnerte und wie geblendet war. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das farbige Leuchten, und er konnte winzige Stufen erkennen, die in den Regenbogen eingelassen waren. Freudig sprang er auf ihn zu, drehte sich noch einmal zu den Blumenwächtern um, winkte und rief ihnen zu:

„Ich danke euch vielmals! Auf Wiedersehen!“

Sie lachten und winkten zurück, und Mo erklomm die Stufen. Als er sich weiter oben noch einmal umdrehte, konnte er erkennen, dass das Fleckchen grüne Erde langsam wieder vom Winter zurückerobert wurde und die Frühlingsblumen sich ins Erdreich zurückgezogen hatten. Von den Blumenwächtern war nichts mehr zu sehen…